Die Kurfürsten und die Goldene Bulle
Nach dem Tod Friedrichs II. 1250 stammen die Könige aus wechselnden Dynastien (Habsburger, Luxemburger, Wittelsbacher). Die Entscheidung über die Nachfolge ist jetzt einer kleinen Gruppe von Fürsten vorbehalten, den sieben Kurfürsten (Kur = Wahl). Doch mehrfach kommt es im Wahlgremium zu Zwist. Doppelwahlen oder Gegenkönigserhebungen sind die Folge.
Man nannte die Zeit nach dem Ende der Staufer ‚Interregnum‘, Zwischenherrschaft. Doch das ist nicht richtig. Es fehlte keineswegs an Königen. Eher kämpften zu viele Könige gegeneinander.
Prof. Dr. Bernd Schneidmüller
Um die Einigkeit der Kurfürsten zu gewährleisten, erlässt Kaiser Karl IV. 1356 die Goldene Bulle. Für Jahrhunderte wird sie zum wichtigsten Dokument für die politische Ordnung, eine Art „Grundgesetz“ des Alten Reichs. Die Goldene Bulle markiert den Endpunkt einer langen Entwicklung: Aus wechselnden Akteuren im Spiel der Macht werden nun feste Glieder der politischen Ordnung, die „Säulen des Reichs“.
Die Goldene Bulle
Die Goldene Bulle regelt die Königswahl und die Stellung der Kurfürsten. Sie wird 1356 erlassen, um Konflikten zwischen der fürstlichen Führungsgruppe im Reich vorzubeugen. Die heute erhaltenen sieben Exemplare sind Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes. Sie stammen von fünf der sieben Kurfürsten (außer Sachsen und Brandenburg) und zwei Reichsstädten (Frankfurt am Main und Nürnberg). Daneben existieren zahlreiche Abschriften, sodass der Rechtstext bald weite Verbreitung erfährt. Als zentrales Verfassungsdokument hat er über das Mittelalter hinaus bis 1806 Bestand.
In der Ausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht" werden im Wechsel drei Exemplare der Goldenen Bulle ausgestellt sowie die vermutlich älteste Abschrift mit der ersten Bezeichnung des Gesetzestexts als Aurea Bulla – Goldene Bulle.
Die Goldene Bulle – Exemplar des Erzbischofs von Mainz
Nürnberg, 10. Januar 1356; Metz, 25. Dezember 1356, Pergament
Wien, Österreichisches Staatsarchiv/Haus-, Hof- und Staatsarchiv
Der hier gezeigte Text regelt die Wahl des römisch-deutschen Königs. Bei dieser nimmt der Mainzer Erzbischof eine herausragende Rolle unter den Kurfürsten ein: Er eröffnet die Wahl mit einer Messe und leitet die Stimmabgabe. Dem für den Mainzer Erzbischof ausgestellten Exemplar fehlt heute die Goldbulle. Nach über 200 Jahren kehrt das Mainzer Exemplar der Goldenen Bulle nun erstmals wieder an seinen ursprünglichen Bestimmungsort zurück.
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Das Reich als lebendes Bild
Die Goldene Bulle regelt die Anordnung der Kurfürsten im Raum.
Das Zentrum der Sitz- und Prozessionsordnung ist der Herrscher. Die Rangordnung folgt zwei einfachen Prinzipien: Nähe zum Kaiser ist besser als Ferne, Rechts von ihm ist besser als Links.
Doch auch kreative Lösungen sind nötig: Die Rivalität zwischen Mainz und Köln löst man, indem der Kölner Erzbischof in seiner eigenen Kirchenprovinz, ansonsten aber der Mainzer Erzbischof den Vorrang hat.
Bei Prozessionen steht der Erzbischof von Trier als dritter Geistlicher an der Spitze des Zugs. Direkt vor dem Kaiser trägt der Herzog von Sachsen das Schwert voran. Zu seiner Rechten geht der Pfalzgraf bei Rhein mit dem Reichsapfel, zu seiner Linken der Markgraf von Brandenburg mit dem Zepter. Der König von Böhmen folgt dem Kaiser nach.
Die Kurfürsten als „Säulen des Reichs“
Sieben Kurfürsten, drei geistliche und vier weltliche, stehen an der Spitze des Reichs. Sie allein wählen den König und übernehmen eigenständig Verantwortung für das Reich. Vier Kurfürsten stammen aus dem Raum am Rhein: die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein. Aus dem Osten kommen der König von Böhmen, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg. Darstellungen der Kurfürsten sind über Jahrhunderte populär.
Die Mainzer Bürgerschaft lässt Anfang des 14. Jahrhunderts neben dem heiligen Martin und dem König auch die sieben Kurfürsten als lebensgroße Figuren am Giebel des städtischen Kaufhauses anbringen. Als das Kaufhaus Anfang des 19. Jahrhunderts abgerissen wird, gelangen die hier ausgestellten Figuren in die Sammlungen der Stadt Mainz.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Königs Ludwig des Bayern
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Als die Figuren für das Mainzer Kaufhaus entstehen, regiert Ludwig IV. (reg. 1328–1347). Doch seine Herrschaft ist umstritten: Bei der Wahl 1314 sind die Kurfürsten uneins, es kommt zu einer Doppelwahl. Erst acht Jahre später kann sich der Wittelsbacher Ludwig auf dem Schlachtfeld gegen seinen Konkurrenten Friedrich von Habsburg durchsetzen. Bald darauf folgt der Konflikt mit dem Papsttum: Ludwig lässt den Papst absetzen und sich von einem Gegenpapst zum Kaiser krönen. In diesem Konflikt wählt 1346 schließlich ein Teil der Kurfürsten Karl IV. zum Gegenkönig; im Jahr darauf stirbt Ludwig.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Erzbischofs von Mainz
Mainz, um 1317 oder 1330-40, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Der Erzbischof von Mainz steht an der Spitze des Kurfürstenkollegs. Er lädt zur Königswahl ein, leitet die Wahl und hat die letzte, gegebenenfalls entscheidende Stimme. Die Zentren seines Territoriums sind Mainz, Aschaffenburg am Main und Erfurt in Thüringen. Mehrfache Auseinandersetzungen um das Amt des Erzbischofs ziehen das Erzbistum stark in Mitleidenschaft. Dagegen wird die Stadt Mainz wieder der Herrschaft des Erzbischofs unterworfen.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Erzbischofs von Köln
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Im Kampf um das Krönungsrecht kann sich der Erzbischof von Köln durchsetzen. Auch auf manche Wahlentscheidungen hat er zunächst noch entscheidenden Einfluss. Seine territoriale Vormachtstellung am Niederrhein geht jedoch in kriegerischen Auseinandersetzungen verloren.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Erzbischofs von Trier
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Der Erzbischof von Trier hat bei der Königswahl die erste Stimme. Erzbischof Balduin (reg. 1307–1354) aus dem Geschlecht der Luxemburger betreibt erfolgreich die Königserhebung seines Bruders Heinrichs VII. und später von dessen Enkel Karl IV. Neben Trier ist Koblenz der Hauptort des Erzstifts. Im ganzen Gebiet entstehen zahlreiche Burgen. Interne Kämpfe führen im 15. Jahrhundert zeitweise zum Niedergang.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Königs von Böhmen
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Als gesalbter und gekrönter Herrscher hat der König von Böhmen den ersten Rang unter den weltlichen Fürsten inne. Die reichen Silbervorkommen in seinem Land verschaffen ihm großen Reichtum. Für etwa ein Jahrhundert herrschen die Luxemburger gleichzeitig als König in Böhmen und als Kaiser im Reich.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Pfalzgrafen bei Rhein
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Die Pfalzgrafschaft bei Rhein liegt seit 1214 in den Händen der Wittelsbacher. Im Kampf um die Kurwürde setzt sich durch die Goldene Bulle die pfälzische gegen die bayerische Linie durch. Ein halbes Jahrhundert später steigt mit Ruprecht (reg. 1400–1410) sogar ein Pfalzgraf zum König auf.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Herzogs von Sachsen
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
Der Herzog von Sachsen ist laut der Goldenen Bulle zusammen mit dem Pfalzgrafen königlicher Stellvertreter in der Zeit zwischen Tod und Neuwahl eines Königs. Dieses Recht findet jedoch keine Umsetzung. Auch in Sachsen ist die Kurwürde umkämpft. Nach dem Aussterben der siegreichen Linie von Sachsen-Wittenberg erhebt der Kaiser den Markgrafen von Meißen aus dem Geschlecht der Wettiner zum Kurfürsten. Dies bewirkt eine beträchtliche Vergrößerung des Territoriums und der politischen Bedeutung.
Zinnenstein vom ehemaligen Kaufhaus am Brand mit Relief des Markgrafen von Brandenburg
Mainz, um 1317 oder 1330–1340, Roter Mainsandstein
Mainz, GDKE, Landesmuseum Mainz
In den Ritualen steht der Markgraf von Brandenburg immer an letzter Stelle. Aber er gehört zu den Kurfürsten, das zählt. Im 14. Jahrhundert werfen die Kaiser ein Auge auf die stark expandierende Markgrafschaft: Sie gelangt erst in den Besitz der Wittelsbacher und dann der Luxemburger. 1415 steigt der Nürnberger Burggraf aus dem Geschlecht der Hohenzollern zum Kurfürsten auf. Berlin wird zur Hauptresidenz.
© Mainz, Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V.; img, Institut für Mediengestaltung und i3mainz, Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik, der Hochschule Mainz
Rekonstruktion des Kaufhauses am Brand
Das mittelalterliche Mainzer Kaufhaus, wurde vor fast 700 Jahren erbaut und im Jahre 1812 wegen Baufälligkeit abgerissen. Geht man von einer Erbauungszeit zu Beginn des 14. Jahrhunderts aus, bedeutet das 500 Jahre bauliche Entwicklung. Gemeinsam mit dem Institut für Mediengestaltung der Hochschule Mainz und i3mainz wurde eine Rekonstruktion und 3D-Visualisierung des Kaufhauses am Brand erarbeitet. Anhand von alten Grafiken, Gemälden und Plänen konnte eine Annäherung an das ursprüngliche Erscheinungsbild des Gebäudes erreicht werden.
Das Highlight: Die Goldene Bulle – Exemplar des Erzbischofs von Köln
1356 oder kurz danach, Pergament, Gold
Darmstadt, Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Hs 3065
Neben den Exemplaren für die Erzbischöfe von Mainz und Trier wird in dieser Ausstellung auch die Ausfertigung der Goldenen Bulle für den Erzbischof von Köln gezeigt. Damit sind die drei Originale für die drei rheinischen Erzbischöfe erstmals seit Jahrhunderten auf Zeit wiedervereinigt. Um 1356 erhielten die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der König von Böhmen und der Pfalzgraf bei Rhein originale Ausfertigungen der Goldenen Bulle. Im Gesetzestext werden die Kurfürsten als „Säulen und Mauern des Reichs“ bezeichnet.
Seinen suggestiven Glanz erhielt das „Kaiserliche Rechtbuch“ durch die anhängende Goldbulle Kaiser Karls IV. Die Vorderseite zeigt den thronenden Herrscher im Ornat mit Krone, Zepter und Reichsapfel inmitten zweier Wappenschilder mit dem Adler des Reichs und dem böhmischen Löwen.
Die Umschrift, die mit dem böhmischen Königstitel ins Siegelfeld reicht, lautet:
+ KAROLVS QVARTVS DIVINA FAVENTE CLEMENCIA ROMANOR(VM) IMPERATOR SEMP(ER) AVGVSTVS / ET BOEMIE REX
„+ Karl IV., durch Gottes günstige Milde Kaiser der Römer, immer Augustus, und König von Böhmen“
Die Rückseite zeigt eine stilisierte Stadtarchitektur Roms:
+ ROMA CAPVT MVNDI REGIT ORBIS FRENA ROTVNDI
„+ Rom, das Haupt der Welt, lenkt die Zügel des Erdkreises“
Im offenen Stadttor steht:
AVREA ROMA
„Goldenes Rom“